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Ein kleines Einmaleins zum Umgang mit Schrift

Was ist eigentlich Typografie – und warum ist sie so wichtig?

Typografie Design Expertise Schrift

Ob auf unseren Smartphones, in Büchern oder auf Websites: Wir nehmen ständig geschriebene Wörter auf. Typografie ist überall. Wir lesen Schilder, die uns beim Navigieren helfen und uns vor Gefahren warnen, treffen Entscheid­ungen, wenn wir eine Speisekarte ansehen oder die Etiketten von Lebensmitteln durchlesen. Aber was ist eigentlich Typografie – und warum ist sie so wichtig?

Display-Schriften = Schriften für Monitore?

Die Bezeichnung „Display-Schrift“ kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Zur Schau stellen“ (to display). ­Gemeint sind damit Schriften, die sich besonders für den Einsatz in ­größeren Schriftgraden eignen. Der Name bezieht sich nicht auf das Anzeigegerät.

Typograf:in = Schriftgestalter:in?

Die Bezeichnung Typograf:in wird umgangssprachlich leider oft fälschlicherweise als ­Synonym für Schriftgestalter:in verwendet. Ein:e Typograf:in ist ein:e Spezialist:in auf dem Gebiet der ­Anwendung von Schriften, während ein:e Schriftgestalter:in der:die Entwickler:in einer Schrift ist.

Lizenzfrei = kostenfrei benutzbar?

Sucht jemand „lizenzfreie“ Schriften, meint er möglicherweise ­einfach kostenfreie Schriften. Doch das drückt der ­Begriff ­lizenzfrei nicht aus. Die Bezeichnung leitet sich aus dem Englischen „royalty free“ ab und meint eine spezielle Form der kommerziellen Lizenzierung, bei der mit einer pauschalen ­Zahlung umfangreiche Nutz­ungs­rechte eingeräumt werden, die nicht nach bestimmten Auflagen, Medien, usw. vergütet werden müssen. Kostenlose Schriften sollten genauso genannt werden: kostenlos. Denn Schriften ohne Lizenzen gibt es praktisch nicht.

Gothic = gotisch?

Viele – vor allem amerikanische – Schriften tragen den ­Zusatz Gothic im Namen (Franklin Gothic, Trade Gothic, ...) Hier ­handelt es sich aber schlicht um serifenlose Schriften, die mit dem Schriftstil der Gotik nichts zu tun haben und somit auch ­keine gotischen Schriften sind.

Wer meint, er verstehe etwas von Schrift, weil er ja lesen könne, irrt sich gar sehr.

Jan Tschichold, Gestalter (1902 – 1974)

Die Entstehung der Typografie kann auf die Erfindung beweglicher Lettern im 11. Jahrhundert zurückgeführt werden. Vor dem digitalen Zeitalter war Typografie ein spezialisiertes Handwerk, das mit Büchern und Zeitschriften und schließlich mit öffentlichen Arbeiten verbunden war. Das erste gedruckte Buch war die Gutenberg-Bibel, die eine Revolution der Schrift in der westlichen Welt auslöste.


Mit der Geburt des Internets gab es eine kreative Explosion der Typografiekunst. Plötzlich verfügten Designer_innen über eine Fülle von Schriftarten und Schriftoptionen, wodurch die Typografie visuell vielfältiger wurde als je zuvor. Wenn es darum geht, die richtige Schriftart für ein Projekt auszuwählen, kann die Auswahl überwältigend sein. Aber eine gute Font ist nicht alles: Auch der richtige Umgang will gelernt sein.

Typografie

Lesen heißt analysieren. Dabei prägen wir uns für jeden Buchstaben eine Grundform ein. Passt ein Buchstabe nicht in eine unserer Schablonen, zum Beispiel chinesische Schriftzeichen oder alte Schriften, so können wir das Wort nicht lesen. Von geübten Leser:innen werden ganze Wörter oder Wortgruppen erfasst. Dabei werden Wortbilder wahrgenommen, die mit den Wortbildern im Gedächtnis abgeglichen werden. 


Die Lesbarkeit eines Textes ist von vielen Faktoren abhängig. Neben Schriftwahl, Satzqualität, Sprachstil, Textstruktur, Textschwierigkeit, Sprach- und Lesekompetenz, Lese- und Betrachtungsgewohnheiten haben psychologische und physikalische Rahmenbedingungen großen Einfluss auf die Lesemotivation und -geschwindigkeit.


Jede Schrift bringt einen bestimmten Stil und eine Persönlichkeit mit. Deshalb ist es wichtig, dass der richtige Schrifttyp basierend auf Kontext, Inhalt und Zielgruppe ausgewählt wird. Bei unkluger Verwendung können falsche Signale gesendet werden. Unser Gehirn verarbeitet jeden Tag eine Menge an Daten, und das rund um die Uhr. Um die Welt um uns herum zu verstehen, erkennt es Muster und fügt Informationen in Vorlagen ein, die uns vertraut sind. Das ultimative Ziel der Schrift- und Textgestaltung ist, optimale Lesbarkeit zu schaffen. Das Gehirn soll in der Lage sein, Geschriebenes zu betrachten, schnell zu entziffern und zu verstehen, was es bedeutet. Gerade im digitalen Zeitalter überfliegen wir Texte eher, als sie gründlich durchzulesen.

Beim Leesn ist die ­Rienhelfoge der ­Bcuhtsbaen in ­einem Wort eagl. Das ghet ­dhealsb, wiel wir nhict ­jdeen Bcuhtsbaen ezienln lseen, sdonren ­Wröetr als Gzeans. ­Solange der estre und der ­lztete Bcuhtsbae am rihctiegn Patlz stheen, knasnt du es ­trodtzem halbwegs prleobloms lseen.

Im Zweifel links ausrichten

In den meisten Kulturen wird von oben nach unten und von links nach rechts gelesen. Ist der Text links ausgerichtet, kann das Auge den Rand leichter finden und schneller lesen.

Platz zum Atmen

Keine Angst vor Weißraum! Zu wenig Platz zwischen Zeilen und Absätzen kann Lesbarkeit erschweren, weil die Zeilen optisch miteinander verschwimmen.

Zu viel Variation vermeiden

Durch zu viel Variation bei Schriftart und -schnitt entsteht Inkonsistenz. Wenn mehr als ein Stil benötigt wird, sollte man die Auswahl auf 2–3 Schriftschnitte limitieren.

Mitwirkende

Lea Hierzenberger