Expertise

Interview

8 min

Love the Problem, not your solution

Ein Gespräch mit Bernhard Famler, CEO und Co-Founder der seeqnc GmbH

Knowledge Musik App seeqnc

Viele Produkte scheitern, weil sich ihre Entwickler:innen zu früh in sie verlieben. Dann haben sie nur noch Augen für ihre Lösung und verlieren das Problem aus dem Blick. Bernhard Famler, CEO & Co-Founder der seeqnc GmbH, weiß das. Im Interview erzählt er, wie sich seeqnc als Antwort auf die Herausforderungen der Musikbranche entwickelt hat. Heute ist die Plattform für Musikerkennung eine zentrale Schnittstelle zwischen Veranstalter:innen, Verwertungsgesellschaften, Künstler:innen, Artists, DJs und Fans, die Möglichkeiten der Vernetzung und Zusammenarbeit schafft, die es davor nicht gab. Von einer Innovation auf der grünen Wiese. 

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Ihr habt eine Plattform entwickelt, die Künstler:innen benachrichtigt, wenn ihre Musik verwendet wird. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Seeqnc ist eine Plattform für Musikerkennung in Echtzeit. Unsere Technologie findet Tracks, die live gespielt werden und stellt diese Information unterschiedlichen Zielgruppen zur Verfügung: Fans, Künstler:innen, Produzent:innen, Labels und Verwertungsgesellschaften. Dafür gibt es verschiedene Anwendungsfälle, die von Live-Events über Livestreams bis hin zu Radio- und TV-Shows reichen. Überall dort, wo Musik live ausgespielt oder vorgetragen wird. Wenn also bei einer Veranstaltung ein bestimmter Song verwendet wird und seeqnc ihn erkennt, bekommen die Künstler:innen eine Push Notification. Außerdem wird die Information mit Metadaten angereichert: Wer sind die Performer:innen, DJs oder Artists? Um welche Veranstaltung handelt es sich? Wo kann man den Track kaufen? Auf welchen sozialen Kanälen sind die Künstler:innen präsent? All dieses Wissen stellen wir in dem Moment zur Verfügung, in dem der Musiktitel gerade läuft.

Wer steckt eigentlich hinter seeqnc?

Wir sind fünf Co-Founder mit ganz unterschiedlichen Hintergründen. Unser CTO Oliver und ich kommen aus dem Softwarebereich und kümmern uns um die technischen Lösungen. Die fachliche Kundensicht hat Albert, der professioneller Musiker ist, auf internationalen Events auflegt und auch als Produzent und Label Owner arbeitet. Unsere Mitgesellschafter von dotsandlines und all about apps bringen ihr Software Know-how und ihre Kompetenzen in Design und Brand Building mit ein. Gemeinsam decken wir ein breites Spektrum an Wissen und Fähigkeiten ab. Das braucht es auch, um in der Musikbranche etwas Neues auf die Beine zu stellen.

seeqnc ist eine Plattform für Musikerkennung in Echtzeit. Unsere Technologie findet Tracks, die live gespielt werden und stellt diese Information unterschiedlichen Zielgruppen zur Verfügung: Fans, Künstler:innen, Produzent:innen, Labels und Verwertungsgesellschaften.

Bernhard Famler

Wie lange hat es von der ersten Idee bis zum fertigen Produkt gedauert? Wie entwickelt sich die Nutzung seitdem? 

Begonnen hat alles mit einem App Prototypen, den wir auf Live-Veranstaltungen getestet haben. Wir haben die gespielte Musik erfasst und begonnen, Notifications an die Künstler:innen zu verschicken. Heute ist die seeqnc Plattform mit Livestreams von Events verbunden und wird von Tausenden Artists, Labels und internationalen Brands genutzt. Täglich kommen neue dazu. Durch den aktuellen Hype um Livestreaming-Veranstaltungen zählen wir bereits rund 100 Millionen Views auf seeqnc-powered Events. Dazwischen liegen Jahre, in denen wir viel gebrainstormt haben, wir haben Gespräche mit Branchenexpert:innen geführt, Pitch-Sessions gemacht und uns im trial-and-error-Verfahren an die jetzige Lösung herangetastet. Wenn man etwas komplett Neues in eine Branche bringt, wofür es noch keine Benchmarks oder Blueprints gibt, ist es auch für die potentiellen Kund:innen am Beginn ein Lernprozess. Innovation ist immer interaktiv, man muss den Mut haben, sich regelmäßig neu zu erfinden.

Wie arbeitet die Plattform genau? Was passiert im Hintergrund, wenn man seeqnc zu einem Live-Set mitbringt?

Wir verbinden beliebige Musikquellen mit unserer Plattform. Das kann ein Livestream im Internet sein, ein Web-Radio, ein TV-Sender, ein VR-Event oder eine Venue wie ein Festival oder ein Club. Auf Basis von Audio-Fingerprinting erkennt unsere Plattform den Musiktitel und reichert diese Information mit Musik-Metadaten an. Über APIs liefern wir diese Daten unterschiedlichen Frontends zur Anzeige – und das alles in Echtzeit. Artists nutzen dazu entweder unsere App, die über das Mikrofon die gespielte Musik erfasst, oder verbinden ihre Events über Streaming-Plattformen (Twitch, YouTube, Facebook etc.) mit der seeqnc Plattform.

Für die Künstler:innen liegt der wohl größte Mehrwert darin, dass sie ein genaueres Bild davon bekommen, wo und für welche Zielgruppen ihre Musik gespielt wird. Ist das etwas, das bislang oft im Unklaren lag?

Ja, bislang wusste man zwar ungefähr, wie oft ein Song auf Spotify oder YouTube angeklickt wird, aber nicht, ob und wann ein Song auf einem Festival, in einem Club, einer Bar oder einem Livestream gespielt wird.

Bekommen Künstler:innen dadurch auch einen besseren Überblick über ihre Lizenzansprüche?

Musik-Nutzungsdaten werden heute nur unzureichend und weitestgehend statistisch erhoben. Grundsätzlich sind Veranstalter:innen angehalten, von den Künstler:innen Listen der Tracks einzusammeln, die sie gespielt haben. Usus ist allerdings, stattdessen Pauschalbeträge zu entrichten, da diese Daten nicht im Detail vorliegen. Je nach Größe des Clubs bzw. des Events wird also eine gewisse Abgabe an die Verwertungsgesellschaft des jeweiligen Landes gezahlt. Diese Tantiemen werden zwar erhoben, um sie an die Künstlerinnen zu verteilen, deren Musik aufgeführt wurde – wenn es aber keine Daten darüber gibt, dann erfolgt die Verteilung statistisch. Für kleinere Künstler:innen entstehen dadurch natürlich erhebliche Nachteile. Neue Technologien können dieses Problem lösen. seeqnc erstellt Reporting-Sheets, die auf Basis von digitalen Daten verifiziert sind. Der Service ist sowohl für die Künstler:innen als auch für die Hörer:innen gratis. Die Win-win-Situation entsteht dadurch, dass es meist günstiger ist, eine vollständige Liste der gespielten Musik einzureichen, als den Pauschalbetrag zu bezahlen.

Ein anderer Benefit liegt darin, dass sich Künstler:innen untereinander und mit ihren Fans besser miteinander vernetzen können. Welches Potential siehst du in diesem Austausch?

Was wir sehen, ist, dass Echtzeit-Musikdaten völlig neue Potentiale eröffnen: Zum Beispiel können Künstler:innen und Labels neue Geschäftsbeziehungen aufbauen, wenn sie wissen, dass sie ihre Musik gegenseitig spielen. Ein anderer Vorteil ist, dass Fans die Tracks während Live-Performances entdecken, kaufen und den Artists folgen können. Unsere Erfahrung zeigt außerdem, dass sich damit die Verkäufe von Songs um bis zu 30 Prozent steigern lassen. Nicht zuletzt kann das Reporting von Musik-Tantiemen während der laufenden Performance passieren und spart damit den Veranstalter:innen Zeit in der nachträglichen Auswertung.

Heute haben wir Partnerschaften mit internationalen Musik-Plattformen, Brands und Expert:innen aus der Branche, die wir für unser Board gewinnen konnten – das öffnet neue Türen.

Wie wird seeqnc in Zeiten von Corona genutzt? Findet sie auch bei Livestreams von Musik-Performances Anwendung?

Die Pandemie hat aufgezeigt, wie wichtig Live-Veranstaltungen für Künstler:innen sind. Die meisten hatten aufgrund von Covid von heute auf morgen keine Auftritte mehr. Livestreaming wurde schnell als Alternative erkannt und schafft Zugang zu neuen Zielgruppen. Festivals finden heute virtuell statt, Veranstalter:innen streamen direkt aus Clubs und Virtual Reality Events sind gerade erst am Vormarsch. Wir haben seit Beginn der Corona-Krise hunderte Veranstaltungen via Livestreaming mit unserer Plattform verbunden. Aktuell stellen wir seeqnc für Livestreaming kostenfrei zur Verfügung und versuchen damit, die Branche in diesen schwierigen Zeiten zu unterstützen. Gleichzeitig sind wir überzeugt, dass dieser Trend die Pandemie überdauern wird und wir in Zukunft hybride Experiences sehen werden, bei denen Live-Events gleichzeitig physisch und virtuell stattfinden.

Welche Partner:innen hast du dir für die Entwicklung von seeqnc ins Boot geholt?

Am Beginn ist das größte und einzige Asset eines Startups das Gründungsteam. Um eine digitale Innovation in der Musikbranche zu etablieren, braucht es im Wesentlichen drei Dinge: Branchenwissen bzw. Netzwerk, Technologie und Brand-Building bzw. Design. Mit unserem diversen Team konnten wir von Beginn an alle diese Kompetenzen abdecken. Heute haben wir Partnerschaften mit internationalen Musik-Plattformen, Brands und Expert:innen aus der Branche, die wir für unser Board gewinnen konnten – das öffnet neue Türen.

Wie kam die Zusammenarbeit mit dotsandlines zustande?

Die Gründer von dotsandlines und mich verbindet eine jahrelange Freundschaft. Es war schon immer unser Plan, gemeinsam etwas Neues zu schaffen. Als wir dann 2018 seeqnc gegründet haben, war dotsandlines mit an Board. Heute arbeiten unsere Teams gemeinsam am seeqnc von morgen.

Machst du selbst auch Musik?

Um abzuschalten, stelle ich mich ab und zu an meine Turntables im Wohnzimmer und spiele Musik für mich selbst oder Freunde. Die Inspiration dafür hole ich mir aus der täglichen Arbeit mit Artists und aus Hunderten Stunden von Live-Events. Man könnte sagen, ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht – und umgekehrt.

Mitwirkende

Carina Sitz

Bernhard Famler